
Als Kind hat Martin Koch mit einer Modelleisenbahn gespielt. Diese hat er vor über 30 Jahren gegen eine Lok der Rhätischen Bahn eingetauscht. Mittlerweile ist er im ganzen Kanton auf Schienen unterwegs. Ich habe ihn einen Tag lang begleitet.
6.00 Uhr Bahnhof Chur

Morgens, 6 Uhr, am Bahnhof ich Chur. Martin Koch hat seinen Zug in Betrieb genommen, verschiedene Tests durchgeführt und die Bremsen kontrolliert. Seit über 30 Jahren arbeitet er bei der Rhätischen Bahn (RhB) als Lokführer. Sein Zug an diesem Tag: ein Passagierzug samt Güterladung bis nach Arosa. Auch dies gehört gemäss dem 51-Jährigen zu der Aufgabe von RhB-Lokführern: Sie fahren Regionalzüge, S-Bahn und Güterzüge.
Pünktlich um 6.20 Uhr setzt sich der Zug, ein sogenannter Allegra-Triebzug der Rhätischen Bahn, in Chur in Bewegung. Koch manövriert den Zug aus dem Bahnhof hinaus in die Churer Innenstadt. Im Lokführerstand ist es still. „Es erfordert höchste Konzentration“, sagt er. Denn als einzige Zuglinie der RhB, führt die Arosalinie teilweise wie eine Strassenbahn durch Chur. Er müsse daher auch noch auf Personen achten, die mit dem Auto, dem Velo oder zu Fuss unterwegs sind.

Der anspruchsvolle Streckenabschnitt ist geschafft und der Triebzug mit Koch am Steuer lässt Chur hinter sich. Nach einigen Metern, durch Wald und Tunnels, bietet sich aus dem Lokführerstand mit der Zeit ein herrlicher Ausblick über das Schanfigg und die Anspannung im Gesicht des Lokführers lässt nach.
Schon als Fünfjähriger wusste Koch, dass er einst Lokführer werden möchte. Auch wo, war schnell klar. „Die RhB hat mich schon immer fasziniert“, so der 51-Jährige. Die Schmalspurbahn mit ihrem Streckennetz durch die topografisch unterschiedlichen Bündner Landschaften haben es ihm angetan. So begann der gebürtige Zürcher nach einer mechanischen Lehre schliesslich 1993 seine Ausbildung zum Lokführer.
Weitere Gründe, warum Martin Koch sein Beruf gefällt, zählt er im Video auf:
7.05 uhr Halt in Langwies
Besonders beeindruckend auf der Strecke Chur bis Arosa: der Langwieser Viadukt. Er beginnt unmittelbar hinter dem Bahnhof Langwies und führt in einer Höhe von 62 Meter über die Plessur sowie den Sapüner-Fondeierbach.

Kurz danach schleicht ein Fuchs oberhalb des Gleises durch die Wiesen. Kein seltener Anblick. Besonders im Winter kann Koch auf der Strecke nach Arosa viele Tiere aus dem Lokführerstand beobachten. „Wenn es Schnee hat, benutzen die Wildtiere die Geleise als Weg.“ Die Lokführer müssen dann jeweils das Tempo mässigen, bis die Tiere die Schienen wieder verlassen und eine Durchfahrt ermöglichen. Die Konsequenz: Verspätung.
Aber auch im Sommer hatte Koch schon einige Begegnungen mit Tieren – jedoch nicht unbedingt Wildtiere. „Ich hatte auch schon Kühe in einem Tunnel hier auf der Arosalinie“, beginnt er zu erzählen. Die Kühe seien aufgrund eines Gewitters erschrocken, aus ihrem Zaun ausgebrochen und hätten Schutz in einem Tunnel gesucht. Tunnel, die teilweise über 100 Jahre alt sind.
Nicht immer fährt der Zug nach Arosa, auch wenn es im Fahrplan so vorgesehen wäre. Anfang Juni mussten elf Züge der Rhätischen Bahn gestrichen werden, darunter vier Halbstundentakte nach Arosa und retour. „Der Lokführermangel ist auch bei uns spürbar.“ Nach Kochs Wahrnehmung war die RhB in den letzten 30 Jahren personell nie so knapp aufgestellt, wie dies jetzt der Fall ist.
7.22 uhr erstes Ziel Arosa
In Arosa angekommen, werden die beiden Güterladungen des Zuges abgeladen. Ein Detailhändler wartet am Bahnhof bereits auf seine Ware. Währenddessen packt Koch seinen Rucksack und wechselt ans andere Ende des Zuges. Denn für den Rückweg steuert er den Zug aus dem Universalsteuerwagen, der bis anhin als Zugende diente. Dieser setzt sich gut 20 Minuten später in Bewegung.

Die Arbeit als Lokführer bei der RhB sei abwechslungsreich. Nicht selten kommt es vor, dass Koch an einem Tag verschiedene Züge fährt. An jenem Juni-Tag steuert er gar drei Arten von Lokomotiven – eine 15-jährige, eine 25-jährige und eine 50-jährige. „Wir haben viel verschiedene Arbeitsplätze an einem Tag. Das fordert, aber macht den Job auch spannend“, sagt Koch.




8.51 uhr Ankunft in Chur
In Chur angekommen, wechselt er nach der Znünipause in eine 50-jährige Lok. Das nächste Ziel: durch die Rheinschlucht bis nach Disentis. Danach geht es nach einer Stunde Aufenthalt im Bündner Oberland mit einem anderen Zug zurück. Somit legt er alleine an diesem Tag fast 170 Kilometer zurück. Zuerst rund je 25 Kilometer von Chur nach Arosa und retour. Danach gut je 60 Kilometer von Chur bis Disentis und wieder zurück.
"Die Belastung als Lokführer nimmt zu", so Koch. Einerseits würden die Dienste länger werden: "sie beginnen früher und enden später." Andererseits werden die Dienste anspruchsvoller. "Wir legen mehr Kilometer zurück und müssen mehr Signale verarbeiten als noch vor 30 Jahren", führt Koch aus.
Diese zusätzliche Belastung merkt Koch nach jeder Arbeitswoche - und seine Wochen sind lang. Nicht selten arbeite er mit einem 100 Prozent-Pensum sechs Tage am Stück, dafür habe er darauf hin fast vier Tage frei. Möglich sei dies dank Schichtbetrieb. Der erste Dienst beginne jeweils spät, erklärt Koch. An jedem darauffolgenden Tag beginnt die Schicht dann jeweils etwas früher, bis man am letzten Tag beim Frühdienst angelangt ist. Dieser startet zwischen 3 und 4 Uhr morgens. "Dafür habe ich am Nachmittag bereits Feierabend."
10.15 uhr Mitten in der rheinschlucht
Zwischen Versam und Valendas mässigt Koch das Tempo des Zugs. Der Grund: eine Baustelle. "Bei Baustellen müssen wir immer besonders konzentriert sein", so Koch und hebt seine Hand um dem Bauarbeiter zu winken. Dieser winkt zurück. Nicht etwa, um sich gegenseitig zu grüssen. "Bauarbeiter müssen winken, um dem Lokführer zu signalisieren, dass sie den Zug gesehen haben", erklärt er, während er die Baustelle passiert.

10.45 uhr Auf dem Weg nach disents
Zwischen Waltensburg und Tavanasa legt der Zug plötzlich einen Zacken zu. Koch beschleunigt auf 90 Kilometer pro Stunde. Das sei die maximale Geschwindigkeit auf der Strecke Chur bis Disentis. Nur im Vereinatunnel, zwischen Landquart und Malans sowie zwischen Bever und Samedan würden die RhB-Züge mit 100 Kilometern pro Stunde noch schneller fahren. Allgemein gelten die Züge der Rhätische Bahn als langsamste Schnellzüge der Welt. Dies ist vor allem auf der Strecke Chur bis Arosa spürbar. Dort beträgt die durchschnittliche Geschwindigkeit 35 Stundenkilometer.

Ist das nicht zu langsam für einen Zug? "Nicht für mich", findet Koch. Es möge bestimmt spannend sein, mit 250 Kilometern pro Stunde durch die Neat zu fahren. Der 51-Jährige bevorzugt jedoch das Eisenbahnfahren durchs Gebirge. "Es fordert mich mehr und das langsame Fahren entschleunigt."
Gefahren lauern auch bei tiefen Geschwindigkeiten. Auch bei der RhB gebe es Schienensuizide. "Mir selber ist es zum Glück noch nie passiert, aber einigen meiner Kollegen", sagt Koch. Das Lokführerpersonal werde auf solche Vorfälle geschult. "Und wenn es passiert, werden wir betreut."
11.11 uhr Disentis
In Disentis angekommen, verlässt Koch den Passagierzug, denn für die Rückreise nach Chur steuert er den Glacier Express. Dieser touristische Zug führt von St. Moritz über Chur, Disentis, Andermatt, Brig und Visp bis nach Zermatt. Der Streckenteil auf Walliser und Urner Boden wird dabei von der Matterhorn-Gotthard-Bahn betrieben. Ab Disentis übernimmt jeweils die RhB.
Eine spezielle Strecke, aber nicht Kochs Lieblingsstrecke. Er bevorzugt eine andere touristische Linie der RhB: den Bernina Express. Dessen Strecke führt von Chur über den Berninapass bis nach Tirano. Die Gegensätze würden ihn faszinieren: Auf dem Berninapass fährt Koch im Sommer teilweise durch den Schnee, zwei Stunden später isst er in Tirano in der Sonne zu Mittag. "Diese Gegensätze sind grandios."
An diesem Tag muss sich Koch jedoch mit dem Glacier Express begnügen. Eine Stunde später, pünktlich um 12.11 Uhr, setzt sich dieser in Bewegung. Ohne Zwischenhalt geht es zurück in die Bündner Hauptstadt.

13.25 uhr Chur
Nach über sieben Stunden auf dem Bündner Schienennetz bringt Koch seinen letzten Zug für diesen Tag im Bahnhof Chur zum Stehen. Ab hier wird ein anderer Lokführer mit dem Glacier Express weiterfahren und Koch verabschiedet sich in den verdienten Feierabend.
"Ich merke, dass ich mehr Regenerationszeit brauche", so Koch. Rief früher seine Arbeitgeberin an einem freien Tag an, um zu fragen, ob er einen Dienst übernehmen könne, so habe er direkt Ja gesagt. Heute geniesse er jeweils seine freien Tage um sich zu erholen und seinen Hobbys nach zu gehen. Danach gehe er wieder motiviert zur Arbeit und das sicher noch für einige Jahre denn für Koch ist klar: "Ich will bis zur Pensionierung im Lokführerstand sitzen."
