Leidensweg Endometriose: Die Geschichte einer 30-jährigen Kämpferin und warum sie damit nicht alleine ist


Bianca hat Endometriose. Das ist eine chronische, nicht heilbare Erkrankung der Gebärmutter. Die Gebärmutterschleimhaut siedelt sich ausserhalb der Gebärmutterhöhle im Beckenbereich, in seltenen Fällen auch an verschiedenen anderen Stellen in- und ausserhalb des gesamten Bauchraums an. Dies führt zu Entzündungen, Schmerzen und Vernarbungen. So auch bei Bianca: Schon als Teenager kämpfte sie während ihrer Menstruation mit starken Schmerzen. Bis zur Diagnose dauerte es Jahre und auch nach der Diagnose folgten fordernde Monate.

Heute kann Bianca unbeschwert in die Kamera lächeln. Sie geniesst die Stunden zuhause in ihrem Eigenheim im sonnigen Domleschg, zusammen mit Ehemann Franco und den beiden Katzen. Da sind keine Schmerzen oder plötzliche Ohnmachtsanfälle mehr, die sie plagen und sie muss auch keine Angst mehr haben, Termine absagen zu müssen.

Dies war lange Zeit anders. Bianca hat Endometriose, eine chronische, nicht heilbare Erkrankung der Gebärmutter. Schon als Teenager hatte sie jeweils während der Menstruation starke Schmerzen – so stark, dass sie fast in Ohnmacht fiel.

Ende 2023 unterzog sie sich einer grossen Operation. Dabei wurden sämtliche Endometrioseherde entfernt. So werden Ansiedlungen von Gebärmutterschleimhaut ähnlichem Gewebe ausserhalb der Gebärmutter genannt. „Die Operation sollte zwei Stunden dauern, … daraus wurden sechs“, erzählt Bianca. Und nach der ersten Operation kam eine zweite dazu – mit langfristigen Folgen.

Die Geschichte von Bianca hört ihr im Audio-Feature.

Bianca ist mit ihrem Schicksal nicht allein. Gemäss Schätzungen in der Medizin, wie beispielsweise des Universitätsspitals Zürich, leidet eine von zehn menstruierenden Frauen an Endometriose. Auch in Graubünden suchen jedes Jahr rund 600 Frauen das Endometriosezentrum in Chur auf. Dort werden Patientinnen wie Bianca behandelt.

Gemäss Schätzungen in der Medizin leidet eine von zehn Frauen an Endometriose. Auch in Graubünden suchen jedes Jahr 600 Frauen das Endometriosezentrum in Chur auf, dort werden Patientinnen behandelt.

Endometriose – was ist das?

Wer Endometriose hat, leidet meist unter starken Menstruationsschmerzen. Peter M. Fehr ist Chefarzt der Frauenklinik Fontana des Kantonsspitals Graubünden (KSGR) in Chur. Er kennt sich bestens mit dem Thema Endometriose aus und hat mitgeholfen, das Endometriosezentrum des KSGR aufzubauen.

Peter Martin Fehr ist Chefarzt der Frauenklinik Fontana in Chur. Er kennt sich bestens mit dem Thema Endometriose aus und hat mitgeholfen, das Endometriosezentrum Graubünden aufzubauen.

Im Audiofile erklärt der Mediziner, was bei Frauen mit Endometriose im Körper passiert.

Folgende Grafik soll helfen zu verstehen, was Endometriose im Körper macht und wo sie vermehrt vorkommt.

Der lange Weg zur Diagnose

Jede Endometriose präsentiert sich unterschiedlich, da verschiedene Organsysteme betroffen sein können. Betroffene Frauen hätten daher auch verschiedene Symptome, was es oft schwierig mache, zu einer Diagnose zu kommen, führt Fehr weiter aus. Bei einem Herzinfarkt zum Beispiel gebe es typischere Symptome, die auf einen Herzinfarkt hindeuten, so der Chefarzt. Bei Endometriose sei dies nicht der Fall. „Endometriose ist wie ein Chamäleon“, führt Fehr im Video unten aus.

Ein weiteres Problem ist, dass Endometriose unter Ärztinnen und Ärzten unbekannter als andere typische Frauenkrankheiten ist, wie zum Beispiel Brustkrebs. Diese Erfahrung hat auch Fehr gemacht.

Bis zu einer Diagnose vergehen im Schnitt mehrere Jahre. Dies war auch bei Bianca der Fall. 15 Jahre dauerte es, bis ihre Schmerzen ertragbar wurden.

Um den Überblick nicht zu verlieren, hilft der folgende Zeitstrahl:

Bianca, 15

Antibabypille

Mit 15 Jahren begann Bianca die Antibabypille einzunehmen. Schon zuvor hatte sie während der Menstruation Schmerzen. Anfangs reichte das Medikament Buscopan gegen die Krämpfe, später musste sie zu stärkeren Schmerzmitteln greifen.

Bianca, 25

Ohnmachtsanfälle

Biancas Schmerzen werden stärker. So stark, dass sie vor Schmerzen fast in Ohnmacht fällt. Sie geht zu ihrem Gynäkologen. Dieser macht einen Ultraschall, findet nichts und verschreibt ihr noch mehr Schmerzmittel.

Bianca, 27

Pille abgesetzt

Im Jahr 2022 setzt Bianca die Pille ab. Sie und ihr Mann Franco wollen Kinder. Ihre Menstruation bleibt über ein Jahr aus.

Bianca, 28

Diagnose Endometriose

Im Jahr 2023 bekommt Bianca zum ersten Mal nach dem Absetzen der Pille die Menstruation. Die Schmerzen sind so stark, dass sie den Spitalnotfall aufsucht. Nach diesem Aufenthalt bekommt sie die Diagnose Endometriose.

Bianca, 29

Bild zur Verfügung gestellt von Bianca M.

1. Operation

Ende 2023 wird Bianca das erste Mal operiert. Dabei werden so viele Endometrioseherde wie möglich entfernt. Während der Operation läuft nicht alles wie geplant; seither kann Bianca nicht mehr selbstständig Wasser lassen.

Bianca, 29

Bild zur Verfügung gestellt von Bianca M.

2. Operation

Nach der ersten Operation kommt es zu einer Entzündung in Biancas Bauch. Sie wird wenige Tage später nochmals notfallmässig operiert. Das Ärzteteam bringt ein Stoma, also einen künstlichen Darmausgang, an.

Operationen und ihre Folgen

„Seit der ersten Operation kann ich nicht mehr selbstständig Wasser lassen“, erzählt Bianca. Gemerkt hatte sie dies einige Tage nach dem Eingriff. Während diesem setzte das Ärzteteam Bianca einen Dauerkatheter ein. Auch nach der Operation hatte sie noch einige Tage einen Katheter. Danach wurde er entfernt.

„Ich habe mir den ganzen Tag nie Gedanken gemacht, ob ich aufs WC gehen müsste“, erinnert sich Bianca. Erst am Nachmittag kam das Thema Wasserlassen auf. „Man sah meinem Bauch an, dass meine Blase voll war“, schildert Bianca. Den Drang zum Wasser lassen spürte sie nicht. „Schliesslich wurde fast ein Liter Urin aus der Blase gelassen“, sagt Bianca. Nun muss sich Bianca mehrmals am Tag selbst einen Katheter setzen.

Wie dies abläuft, erzählt sie im Audio:

Desinfektionsmittel und Spiegel: Es braucht viel Material für die Selbstkatheterisierung.
Bild zur Verfügung gestellt von Bianca M.

„Seitdem gibt es kleine Fortschritte“, so die 30-Jährige. Zudem hofft sie auf weitere Besserungen und: „dass ich irgendwann wieder normal Wasser lassen kann.“

Weiter kam es zu Komplikationen im Darmbereich. „Einige Tage nach der ersten Operation merkte ich, dass etwas nicht stimmt“, erzählt Bianca. Sie ging sofort ins Spital. Dort kam es zur Notoperation.

Auslöser dafür war eine Fistel im Darmbereich. Diese hat das Ärzteteam bei der Operation entfernt und Bianca einen künstlichen Darmausgang eingesetzt. „Dieses Stoma, also den künstlichen Darmausgang, hatte ich sieben Monate lang.“ Anfang August 2024 wurde es operativ entfernt.

Den künstlichen Darmausgang musste Bianca mehrmals am Tag leeren und immer abends wechseln. Wie sie damit zurecht kam, schildet sie im Audio:

Bilder zur Verfügung gestellt von Bianca M.

Riskante Operationen bei Blasen- und Darmbefall

Solche Komplikationen können laut Chefarzt Fehr bei sämtlichen operativen Eingriffen im Bauch vorkommen. Grundsätzlich gilt: Je weiter und verzweigter sich die Endometriose im Körper verbreitet, desto grösser sind die Risiken bei einer Operation. „Besonders wenn die Blase und der Darm befallen sind, kann es eine risikoreiche Operation sein“, sagt Fehr und weiter: „Wenn schwere Komplikationen auftreten, haben betroffene Frauen einen sehr belastenden Leidensweg vor sich.“

Richtig schwere Komplikationen kommen gemäss dem Chefarzt der Frauenklinik Fontana des KSGR selten vor. „In fünf Jahren habe ich eine solche Komplikation lediglich einmal erlebt.“ Dieses eine Mal war Bianca.

Bianca, 30

Fast keine Schmerzen mehr

Die Operation zeigt Wirkung: Biancas Schmerzen sind merklich zurückgegangen. Der künstliche Darmausgang wurde im August 2024 entfernt, und auch im Bereich der Blase gibt es Fortschritte.

Bianca, 30

Schon bald zu dritt?

Noch immer im Hinterkopf haben Bianca und ihr Mann Franco den Kinderwunsch. Die beiden sind sich jedoch einig: „Im Fokus steht aktuell, dass es Bianca gut geht.“

Hier bekommen Betroffene Hilfe

Zweitmeinung

Du hast selbst starke Periodenschmerzen aber deine Frauenärztin oder dein Frauenarzt verschreibt dir nur Schmerzmittel oder die Antibabypille? Dann hole dir unbedingt eine Zweitmeinung ein.

Endometriosezentrum

Melde dich bei Beschwerden beim Endometriosezentrum Graubünden. Ein Team aus verschiedenen Spezialistinnen und Spezialisten geht individuell auf deine Beschwerden ein, sei dies mit einer Schmerz-, Ernährungs- oder Physiotherapie.

Das Endometriosezentrum ist an der Frauenklinik Fontana in Chur angegliedert.

Sprich darüber

Vertraue dich deinem Umfeld an. Erzähle ihnen von deinen Schmerzen und Erfahrungen. Falls du dich nicht verstanden fühlst; es gibt eine Selbsthilfegruppe im Kanton Graubünden.

Credits

Sämtliche nicht gekennzeichneten Bilder und Grafiken wurden im Rahmen dieser Diplomarbeit von mir erstellt. Gekennzeichnete Bilder wurden mir für diese Arbeit zur Verfügung gestellt von Bianca M.

Für das Audiofeature habe ich folgende Tracks von Blue Dot Session verwendet:
Song at the End of Time, The Stone Mansion, Halpver, Clay Pawn Shop, The Melt, Gemeni City by Blue Dot Sessions (www.sessions.blue)